„Alles zusammen und gemischt“ – über die Kontext Vermischung
Von René Schubert
Vorwort von Gerhard Gigler
Der brasilianische Psychoanalytiker und Autor René Schubert hat einen Artikel zum Thema Kontextvermischungen in mehreren Sprachen veröffentlicht. “Alles zusammen und gemischt” nennt er seine Untersuchungen und neben Bert Hellinger, Matthias Varga von Kibed, Jacob Stam, Cornelia Benesch-Bonkamp und anderen bekannte Persönlichkeiten der Systemischen Szene, hat er auch einen Auschnitt meiner Theorie und Praxis zu diesem Thema verarbeitet. Ich freue mich darüber sehr und übernehme deshalb gerne diesen Artikel ins heutige Themenblitzlicht, obwohl er den üblichen Rahmen der Textlänge übersteigt. Der interessante Querschnitt zum Thema überzeugt mich.
René Schubert ist Psychotherapeut, Psychoanalytiker, Systemischer Familienaufsteller und Systemischer Berater, Dozent, Dolmetscher (Deutsch und Englisch), Schriftsteller.
Viel Spaß beim Lesen!
Gerhard Gigler
„Ungelöste Probleme in einer Familie spiegeln
sich in der Wirtschaft und im Beruf wieder.“
Bert Hellinger
„Eine Kontext Vermischung manifestiert sich in der Kombination zweier Kontexte, dem ‚Chef im beruflichen Kontext‘ und dem ‚Vater im privaten Kontext‘. Die Kunden sind sich dieser Vermischung oft bewusst, haben aber dennoch Schwierigkeiten, diese Mischung zu trennen. Mit einer Aufstellung ist es viel einfacher, die Kontext Vermischung zu unterscheiden und entfernen.“
Insa Sparrer (2013, freie englische Übersetzung adaptiert von René Schubert)
In diesem Artikel werde ich hauptsächlich über das Thema „Überlappende Kontexte“ und „Mischkontexte“ nachdenken, Konzepte, die auf gemeinsame Phänomene und Dynamiken im Familiensystem und im Organisationssystem hinweisen. Für einen Psychotherapeuten oder Berater ist das Thema natürlich nicht zu fremd oder fern. Ich selbst hatte mich schon in der Psychologie-Universität, auf meinem Weg zum Psychoanalytiker, in den Geschichten und Erzählungen meiner Klienten gesehen, gefunden und wiederentdeckt. Und deshalb fand ich es wichtig, diesem Thema eine Text zu widmen, mit dem Hintergrund und der theoretischen Auseinandersetzung mehrerer angesehener Fachleute auf dem Gebiet der Psychologie, der Beratung und des systemischen Aufstellens.
Einige Themen und Konzepte nähern sich der „Vermischung von Kontexten“ direkt und/oder indirekt an und helfen so beim Verständnis und der Klarheit dieser so komplexen und gleichzeitig im Menschen üblichen Dynamik. Es sind diese: Projektion und Introjektion; Identifikation; Übertragung; Verschiebung und Verdichtung; Triangulation; übernommene Gefühle; Unsichtbare Systemische Loyalitäten; Trancezustände; Verstrickungen.
Das erste Mal, dass ich den Begriff auf den organisatorischen Kontext angewandt hörte, war bei Elisabeth Ferrari, die von „Context Overlap“ sprach. Jahre später wieder, diesmal mit Gerhard Gigler, unter dem Stichwort „Kontextvermischung“. Und in diesem Sinne haben wir sowohl die Überlappung von Kontexten als auch die Vermischung von Kontexten (auf portuguiesisch wäre es “Sobreposição de contextos”). Beides sind Synonyme und sehr häufig in Klientenberichten im Coaching, in der Beratung und/oder in der therapeutischen Nachsorgearbeit. Die Konzeptualisierung und das Bewusstsein dieser Dynamik ist von grundlegender Bedeutung für den Fachmann, der mit seinen Klienten aus und in den familiären / sozialen / persönlichen / beruflichen / finanziellen / politischen / religiösen Dynamiken und Schnittstellen, unter anderem, handeln wird. Dies sind Handlungs- und Beziehungskontexte. Wir fließen, durchlaufen und passen uns von und mit ihnen an.
Jeder dieser Kontexte hat seine eigenen Ursprünge, Geschichten, Merkmale, Formen, Regeln, Bewegungen, Bedeutungen, Aktionen und Auswirkungen. Sie wahrzunehmen, zu erkennen, zu differenzieren, sich ihnen bewusst zu werden, ist eine Haltung, die unsere Sicht und Handlungsfähigkeit erweitert.
Im beruflichen Umfeld hören wir oft: „Nehmen Sie es nicht persönlich. Es ist geschäftlich, nicht persönlich. Trennen Sie das Fachliche vom Persönlichen. Trennen Sie das familiäre Umfeld vom beruflichen Umfeld. Hören Sie nicht so emotional, sensibel und persönlich zu, sondern seien Sie objektiv, praktisch und auf die Ziele und Bedürfnisse des beruflichen Umfelds ausgerichtet“.
Wir wissen, dass wir alle aus einem familiären Umfeld kommen. In der Tat erhalten wir in unserer Familie die ersten Hinweise auf Regeln, Verhaltensweisen, Normen, Gesetze und soziale Grenzen. In der primären Sozialisation, die bei unseren Eltern und/oder Erziehungsberechtigten stattfindet, lernen wir, wie wir uns im sozialen Umfeld verhalten sollen. Wir lernen zu kommunizieren, Kontakt und Austausch mit der äußeren Umgebung herzustellen. Die sekundäre Sozialisation findet dann im schulischen, kommunalen, freizeitlichen, religiösen und sozialen Umfeld statt. Auf jeden Fall lernen wir mit unseren Eltern bzw. Erziehungsberechtigten, was Kultur ist, wir bekommen sie von ihnen und von der Sprache. Im Laufe der Zeit entdecken wir, dass es andere Arten zu handeln und Dinge zu tun gibt als die, die wir zu Hause gelernt haben und die wir für wahr, unveränderlich und universell hielten. Wir werden flexibler, entdecken neue Grenzen neue Möglichkeiten und Amplituden. Wir verlassen unser Zuhause und entdecken, dass es ganz andere und manchmal sogar gegenteilige Arten des Seins und des Lebens gibt als die, die wir zu Hause gelernt haben. Es gibt Muster von Überzeugungen, von vielfältigen, multiplen Verhaltensweisen – ich verlasse das enge Sichtfeld und entdecke ein erweitertes Feld, mit anderen Farben, Formen, Erfahrungen, Schwierigkeiten, Herausforderungen. Damit erweitern wir unseren Blick auf die Systeme, die uns beeinflussen, zu uns beitragen und mit denen wir mitgestalten. Und wenn wir anfangen zu arbeiten, in der Arbeitsumgebung, nach ein paar Tagen, Wochen, Monaten, gehen wir in das, was wir Organisationskultur nennen, das heißt, die Art und Weise, wie die Dinge dort, im Unternehmen, gemacht werden. Das Timing und die Umgebung, in der Dinge passieren, fließen und sind, von dieser Organisationskultur.
Ein weiterer illustrativer Satz: „Was glaubst du, wer du bist? Glauben Sie, dass Sie sich im Wohnzimmer Ihres Hauses befinden? Hier gibt es Regeln. Schauen Sie sich um und lernen Sie. Passen Sie sich an!“
Die Probezeit funktioniert in der Regel für beide Seiten: für das Unternehmen, das Talente, Fähigkeiten und Qualitäten sucht; für den Angestellten und/oder Mitarbeiter, der sein Wissen anwenden, sich Herausforderungen stellen, sich selbst überwinden, sich entwickeln und Stabilität erreichen möchte.
Es gibt Unternehmen, die oft klare Regeln für affektiv-liebevolle Beziehungen im Unternehmen aufstellen. Es gibt sogar solche, die klarstellen, dass bei einer engen Beziehung einer der Mitarbeiter das organisatorische Umfeld verlassen muss, damit es keine „Konflikte“, „Missverständnisse“, „Verwirrungen“, „Ablenkungen“ gibt, die das berufliche Umfeld im Allgemeinen stören.
In diesem Sinne: „Jedes Ding hat seine Zeit und seinen Ort“ – und manchmal verwechseln wir Zeit und Raum. Manchmal, in den meisten Fällen, vermischen wir unbewusst Orte und Zeiten … und bringen das Alte in die Gegenwart … wir aktualisieren ein familiäres Muster in der Organisation … und die Folgen können katastrophal sein. Fehler, Missverständnisse, die es zu überprüfen, zu kontrollieren, zu bearbeiten gilt – um in dieser Zeit und in diesem Raum besser handeln zu können – sowohl familiär, sozial, beziehungsmäßig als auch beruflich, organisatorisch, politisch.
In der Psychologie
In der systemischen Familientherapie geht es darum, herauszufinden, ob es in dem erweiterten Familiensystem jemanden gibt, der in die Schicksale, Entscheidungen, Überzeugungen früherer Mitglieder dieser Familie verstrickt ist. Dies kann durch die Arbeit mit Systemischen Familien- und Organisationsaufstellungen ans Licht gebracht werden. Indem man die Verstrickungen ans Licht bringt, kann man sich leichter aus ihnen befreien – man wird sich bewusst, was in seinem System wirkt und hat eine Wahl über die eigenen Handlungen und Entscheidungen.
In der Reflexion: „Alles, was uns an anderen irritiert, kann uns zu einem besseren Verständnis von uns selbst führen“ des Psychiaters und Psychotherapeuten Carl Gustav Jung, gestalten wir die Projektion von Aspekten von uns selbst, auf Menschen und Situationen in einer verborgenen und verdeckten Weise. Wir erkennen den „Fehler“, die „Schuld“ oder das „Ärgernis“ in dem, was der andere tut, weil wir es bei uns selbst nicht mögen. Wir löschen es und verstecken es im anderen. Wir überlagern das andere. Wir mischen das Persönliche und Intime mit dem Äußeren und Unpersönlichen. Und diese Mischung kann verschiedene Missverständnisse, Fehler in der Wahrnehmung, Bewertung, Interpretation verursachen. Ein persönliches Urteil, bei dem vielleicht eine Selbsteinschätzung, eine Selbstwahrnehmung der eigenen Person in der Umwelt und deren Auswirkungen notwendig wäre.
In der Psychologie ist die Projektion ein Abwehrmechanismus, bei dem die persönlichen, privaten, intimen Eigenschaften eines bestimmten Individuums, seien es inakzeptable oder unerwünschte Gedanken, Emotionen oder Gefühle jeglicher Art, auf andere Personen oder Situationen übertragen werden. Sie werden von innen nach außen projiziert. Aber als psychischer Abwehrmechanismus geschieht dies manchmal unbewusst und ist deshalb letztlich folgenlos.
In der Gestalttherapie haben wir das Konzept von Figur und Hintergrund. Ein Konzept, das aus dem Studium der Wahrnehmung stammt. Als der deutsche Psychiater und Psychotherapeut Fritz Pearls dieses Konzept einbrachte, erwähnte er, dass dies im therapeutischen Kontext häufig geschieht. Bestimmte Kunden haben Schwierigkeiten, verwirren, Figur und Hintergrund. Manchmal bringt der Klient eine Figur (Symptom) mit, und es ist notwendig zu beobachten, was der Hintergrund ist (Background), um zu entdecken, was der Gesamtzusammenhang ist. Die Details, die Teile, die das Ganze ausmachen.
Das Konzept der Figur-Hintergrund-Wahrnehmung wird oft mit der klassischen „Gesichter oder Vasen“-Illusion illustriert, die auch als Rubins Tasse/Vase bekannt ist. Je nachdem, ob Sie Schwarz oder Weiß in der Figur sehen, können Sie zwei Gesichter im Profil sehen (d. h., Sie nehmen die dunkle Farbe als die Figur wahr) oder ein Gefäß in der Mitte (d. h., Sie sehen die weiße Farbe als die Figur).
Der deutsche Psychotherapeut und systemische Berater Gerhard Gigler erklärt: „In unserem täglichen Leben vermischen wir ständig verschiedene Kontexte. Das liegt daran, dass wir von einem Kontext zum anderen folgen und schließen wollen. Was wir in einem Kontext bereits gelernt haben, wollen wir auf einen neuen Kontext übertragen. Diese Mischungen von Kontexten sind manchmal förderlich für uns, weil sie uns in schwierigen Momenten helfen, aber sie können uns auch schaden und uns blockieren. So gibt es Kontextmischungen, die vorteilhaft sind, und solche, die schädlich sind. Ein Beispiel: Wie wäre es, wenn wir zwei Kinoleinwände übereinander schieben würden? Es wäre so, als wären wir „im falschen Film…in der falschen Reihenfolge…verwirrend“. Es ist, als ob zwei Filme gleichzeitig gezeigt werden und wir uns nicht wirklich im Hier und Jetzt befinden, weil Szenen aus dem einen und dem anderen Film hin- und hergeschoben werden. So kann ein Mitarbeiter mit seinem Chef reden, als würde er mit seinem Vater sprechen – Die Mitarbeiterin, die kurz vor einer Präsentation vor ihren Kollegen steht, erinnert sich daran, wie ihre Klassenkameraden aus der 4. Klasse über sie gelacht haben und fühlt sich plötzlich vor ihren Kollegen, als wäre sie 10 Jahre alt und könnte sich nicht mehr an ihre Rede erinnern.“
In der Psychologie haben wir auch den Begriff der Trance. Irgendwann im Laufe des Tages löst ein Ereignis, eine Situation oder ein Vorfall eine frühere Erinnerung aus, die manchmal sehr alt und unbewusst ist, und die Person befindet sich in einem veränderten Bewusstseinszustand und reagiert nicht mehr punktuell auf das Ereignis im gegenwärtigen Moment, sondern so, wie sie irgendwann in der Vergangenheit reagiert hat. Natürlich wissen wir, wie wichtig es ist, zu differenzieren und jedes Ding an seinen Platz zu stellen, damit man mit Kraft und Sicherheit handeln kann, im Hier und Jetzt, in der Gegenwart. Im Zustand der Trance ist dies jedoch verloren. Denn man ist auf bildhafte und sinnlich-emotionale Weise in etwas Vorangegangenem verhaftet. Und man nimmt nicht wahr, wie sich dieses Bild, die Empfindung, die Geschichte, das Vorherige, die Vergangenheit, der Gegenwart aufdrängt. Die Trance verhindert, dass man in der Gegenwart agiert, sondern reagiert auf die Gegenwart.
„Ein hohes Maß an Stress, Trauma und Begegnungen mit dem Tod im Leben einer Person und in der Familie schaffen restriktive innere Strukturen. Diese wiederum führen zu stärkeren, invasiveren und länger anhaltenden Trancezuständen und Symptomen. Wenn diese Trancezustände und Symptome das Leben der Klienten beeinträchtigen und unerwünscht sind, suchen sie in der Therapie nach Erleichterung und Anleitung.” Ursula Franke-Bryson
Auf diese Weise geht die Person in ihrem beruflichen Alltag weiter, indem sie einen Mangel, eine Unzulänglichkeit oder eine Schwierigkeit, die in ihrem persönlichen Leben aufgetreten ist, auf diesen überträgt. Die Person befindet sich in einem Zustand der Trance. Sie reagiert und agiert aus diesem Zustand der Trance heraus.
Dc. Ursula Franke-Bryson weist in ihrem Buch darauf hin, dass die Trance oft aus Traumata, Grenzerfahrungen oder sehr schwierigen Situationen sowohl in unserem Leben als auch in dem unserer Eltern, Verwandten und Vorfahren herrührt. Etwas, das das Familiensystem kennzeichnet und zu einem Zeichen der Zugehörigkeit wird: „In unserer Familie machen wir das so!“. Auch wenn dies im Moment dysfunktional ist oder Schmerzen und Leiden verursacht. In diesem Fall besteht die therapeutische Arbeit darin, den Klienten dazu zu bringen, den Zustand der Trance wahrzunehmen. DiesenZustand und die Dynamik zu Erkennen. Zwischen vergangenen und gegenwärtigen Aspekten zu unterscheiden . Den Zustand der Präsenz zu Üben. Sich selbst im Hier und Jetzt bewusst zu sein und in den Aktivitäten und Aufgaben handeln, die sich im Hier und Jetzt manifestieren.
Oder wie Elisabeth Ferrari es ausdrückt: „Die Vergangenheit. Teile unserer Vergangenheit, die uns zurückrufen, weil etwas noch gesehen, erkannt und erarbeitet werden muss“.
Und wir können auch Sigmund Freud zitieren, der in der Psychoanalyse auf unsere Abwehrmechanismen hinweist, wie: Projektion, Introjektion, Verdrängung, Verdichtung, Reaktionsbildung und Verdrängung. Sie sind Werkzeuge unseres psychischen Systems, um uns vor Gefahren (real oder Phantasie / bewusst oder unbewusst / gegenwärtig oder vergangen) zu schützen, die uns täglich bedrängen. Als Abwehrmechanismen sind sie grundlegend und wichtig für unsere Entwicklung und unser psychisches Gleichgewicht. Manchmal zeigen sie sich jedoch veraltet. Das heißt, sie waren pünktlich in einer bestimmten Phase unseres Lebens, beschützten uns, retteten uns, erhielten uns. Sie sind jedoch seit diesem Ereignis gleich geblieben. Der psychotherapeutische Prozess zielt dann darauf ab, dem Klienten sich selbst und auch seine inneren und äußeren Ressourcen bewusst zu machen. Um ihn bewusst und präsent zu machen. Damit er sich selbst in seinen Handlungsmöglichkeiten wahrnehmen und seine Art und Weise, sich im familiären, sozialen und beruflichen Umfeld zu verhalten, zu kommunizieren, sich zu benehmen, auszutauschen, bewerten, validieren oder neu bestimmen kann.
Systemisches Denken
Das systemische Denken, die Betrachtung des Ganzen und seiner einzelnen Teile, hilft dem Therapeuten und Berater sehr bei seiner Diagnose, Bewertung und Durchführung mit Unternehmen, Teams und/oder in der Beratung und individuellen Ausrichtung seines Klienten. Ich habe hier einige Überlegungen von Profis ausgewählt, die dies mit Präzision und Klarheit veranschaulichen:
„Wir alle sind Früchte unserer Kontexte, und das meist, ohne uns dessen bewusst zu sein. So öffnete mich das systemische Denken für die Prinzipien und Regeln, die Menschen in ihrem Handeln in Systemen bewegen, und half mir zu verstehen, was ich getan habe, damit eine Situation so ist, wie sie ist. Wenn ich mir die Zusammenhänge bewusst mache, kann ich mich neu positionieren. Ohne Bewusstsein bewegt sich das Unbewusste. Im dualen/linearen/mechanistischen Denken laufen wir Gefahr, uns mehr und mehr in unserer Welt zu verschließen. Auf der anderen Seite werden wir mit dem Systemdenken zu Entdeckern. Wir lassen das Urteil über richtig und falsch weg, weil wir wissen, dass jede Handlung und Nicht-Handlung Konsequenzen hat, und wir öffnen uns für die Frage: „Was hat die Situation so gemacht, wie sie ist?“ geschrieben von Cornélia Benesch Bonenkamp
„Was ist ein System? Eine Familieneinheit bildet ein System… Die ganze, erweiterte Familie bildet ein System… Eine Schulklasse bildet ein System… Ein Land oder eine Region bildet ein System. Ein Ding ist ein System, wenn der Teil außerhalb seiner Grenzen anders ist als der Teil innerhalb. In der Familieneinheit meines Nachbarn werden Dinge anders gemacht als in unserer Familieneinheit. Das wissen Sie in dem Moment, in dem Sie sich vor seiner Haustür die Schuhe ausziehen müssen. Oder wenn Sie an Ihrem neuen Arbeitsplatz Ihre Witze nicht mehr erzählen können. Es braucht einige Zeit, um zum Kern all dieser offensichtlichen und versteckten Regeln vorzudringen.“
„Ein System ist immer Teil eines größeren Systems. Ihre Arbeit ist immer ein Teil der Arbeit eines Teams. Das Team ist immer Teil einer Abteilung, die Abteilung ist immer Teil einer Geschäftseinheit, und so weiter. Oft wird dies in Konfliktsituationen deutlich. Viele Konflikte, die ich in einem Team durchlebte, waren Spiegelungen von ungelösten Konflikten im breiteren System um sie herum, wie ein Hologramm. Für einen systemischen Coach ist es wichtig, den Blick zu weiten, wenn er im direkten System des Klienten keine Ursachen oder Lösungen finden kann. Zoomen Sie hinein, um die breiteren Systeme um Ihren Kunden herum zu sehen. Die Chancen stehen gut, dass der Klient nicht in der Lage sein wird, die breiteren Systeme zu beeinflussen, aber er wird in der Lage sein, sich zu lösen, bis zu dem Punkt, dass er sich von der Last der ungelösten Themen im breiteren System befreit“ – Beschrieben in verschiedenen Passagen in Buch von Jan Jacob Stam und Bibi Schreuder.
Ein praktischer Fall
Aus einer Lektion des niederländischen systemischen Beraters Anton de Kroon – freie Übersetzung aus dem Englischen von René Schubert angepasst:
„Als Systemischer Coach schaue ich hinter die Person, die die Frage stellt, um zu sehen, was das Leben dieser Person ist, ihr System, woher sie kommt, wozu sie gehört, was sie tut… was sie erschafft, was Probleme im Hier und Jetzt bringt. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ein Mädchen versucht, einen Job zu bekommen. Etwas, bei dem sie bisher nicht viel Erfolg hatte. Sie hat sich nur selbständig machen können, aber sie ist voller Tatendrang: „Was muss ich tun, um in einem Job effektiv zu sein, um einen festen Arbeitsplatz zu haben?
Nun, ich erforsche in diesem Fall nicht, wie ihre Website aussieht, wie ihre Kontakte sind, ob ihr Lebenslauf aktuell ist oder solche Dinge. Nein. Das ist die übliche Methode, die verwendet wird. Meine Methode in dem Fall ist, zu fragen, was ist Ihr tiefster Wunsch, diesen Arbeitsplatz dauerhaft zu erhalten?
Sie sagt dann: “Also, dann gehöre ich am Ende zu etwas.” Man konnte also sehen, dass es ein tiefer Wunsch von ihr war, dazuzugehören. Also dachte ich mir: “Wo hat sie denn sonst ihre Zugehörigkeit nicht erkannt?”. Und dann hatte ich diese seltsame Idee, sie zu fragen: “Sind Sie zufällig in einem Waisenhaus aufgewachsen?”.
Sie schaute mich dann an: „Komische Frage, dumme Frage“. Und ich sagte: „OK, dann lass es, lass es sein. Wir werden dann sehen, was wir tun können“. Und da ich nicht wusste, was ich tun sollte, habe ich geschwiegen. Also sagte sie: „Mein Vater wuchs in einem Waisenhaus auf.“
Und das hat sie und mich irgendwie getroffen. Und sie fragte: „Was habe ich denn damit zu tun, dass mein Vater in einem Waisenhaus aufgewachsen ist?“
Ich antwortete: „Na ja, wenn man in einem Waisenhaus aufgewachsen ist, gehören wir nirgendwo hin… wo ist dann unsere Familie? Man ist auf sich allein gestellt, ohne viele Verbindungen… Networking. Und dann sagte ich, dass es manchmal vorkommt, dass kleine Kinder aus Liebe zu ihren Eltern unbewusst ein Versprechen in ihrem Herzen abgeben: „Lieber Papa, ich werde kein besseres Leben haben als das, dass du hattest, also wenn du nicht dazugehört hast, werde ich auch nicht dazugehören.“
Auf diese Weise werden Sie, wenn Sie ein so solides Versprechen und eine solche innere Verpflichtung haben, keinen festen Arbeitsplatz finden, wo Sie dann hingehören würden.
Also habe ich ihr erklärt, dass man sich abgrenzen und zu seinem Vater sagen könnte: „Papa, ich liebe dich, auch wenn ich einen festen Job finde. Ich gehöre dann zu einem Unternehmen, was ich mir eigentlich für mich wünsche. Und trotzdem, liebe ich dich“
Und für das kleine Kind, das ein solches Versprechen gegeben hatte, wäre das ein Verrat an seinem Vater gewesen. Menschen wollen einem solchen Versprechen treu (verbunden) bleiben. Das ist also gemeint, wenn ich sage, dass ich hinter die Person schaue. Was er/sie mitbringt. Auf das, was in seinem Familiensystem zu dem führen könnte, was er weiß oder hierher bringt, ins Hier und Jetzt.“
Die Kontext Vermischungen zwischen unseren verschiedenen Handlungsfeldern sind schwer wahrzunehmen, weil sie, wie hier schon geschrieben, oft unbewusst wirken und eher durch ihre Wirkungen und Folgen wahrgenommen werden. Durch ihre Wiederholungen, durch die sich wiederholenden Muster. In diesem Fall ist die Frage: Warum passiert das bei mir?, nicht sehr hilfreich. Andererseits zu fragen, wann passiert das auch oder wo passiert das auch bei mir, in meinem Leben, in meiner Geschichte, in der Geschichte meiner Verwandten und Vorfahren?
Dies kann Assoziationen, innere Wahrnehmungen, eine integriertere und interdependente Sichtweise von uns und von uns in den verschiedenen Systemen, die die ganze Zeit in uns und mit uns agieren und interagieren, nach innen und nach außen bringen. Auf diese Weise betrachte ich die Figur und sehe und erkenne auch den Hintergrund. Ich sehe das Objekt im Fokus, aber auch die Teile, die es zusammensetzen. Die Show und der Backstage-Bereich. Ich bringe und differenziere beide Kontexte, z.B. woher ich komme, wo ich angekommen bin, wo ich bin.
Unterschiede zwischen Familiensystem und Organisationssystem
„Der Erfolg des Unternehmens ist direkt mit dem Wachstum seiner Führungskräfte verbunden. In dem Maße, wie sie ihre persönlichen und existenziellen Probleme lösen, wächst im gleichen Maße das Unternehmen. Und das ist die größte Liebeserklärung an seine Mitarbeiter und Kunden“. Alfonso Malpica
„Die Familie ist ewig, die Organisation ist es nicht: Das ist ein sehr offensichtlicher, aber wesentlicher Unterschied. Das liegt daran, dass in der Organisation die Zugehörigkeit der Mitglieder zeitlich begrenzt und optional ist, was die Praxis noch komplexer macht. Zu verstehen, wer zu diesem System gehört, ist viel schwieriger. Ein entlassener Mitarbeiter zum Beispiel hinterlässt immer noch ein Vermächtnis und eine Geschichte im Unternehmen und diese Vergangenheit muss im System berücksichtigt werden“. Alexandre Tauszig
Das Organisationssystem ist ganz anders als das Familiensystem. In einigen Aspekten hat es seine eigenen Ebenen der Komplexität, sehr charakteristisch. Genauso ist System- Organisationsaufstellung nicht dasselbe wie Familienaufstellung, denn der Fokus, die Struktur und die Handlungsweise sind unterschiedlich. Jeder hat seine Präsentation und seinen Fluss.Es hat seine eigene Art der Kommunikation und des Austauschs. Und diese Unterschiede und Eigenschaften müssen dem Leiter, dem systemischen Berater bekannt sein.
Wenn wir von der Überlappung von Systemen sprechen, betrachten wir diese verschiedenen Systeme, die aus irgendeinem Grund und Ereignis dazu kommen, denselben Ort und dieselbe Zeit einzunehmen – selbst wenn dies unvereinbar ist… logisch gesprochen. Aber wie wir gesehen haben, geschieht die Überschneidung, die Vermischung, aus mehreren unbewussten Gründen, die ihre emotionalen und affektiven Auslöser und ihre Folgen und Auswirkungen auf die äußere Umgebung haben.
In dem folgenden Schema, das von Gerhard Gigler ausgearbeitet wurde, haben wir einige Punkte, die auf die grundlegenden Unterschiede zwischen dem Organisationssystem und dem Familiensystem hinweisen. Solche Aspekte werden in den Arbeitskreisen und Ausbildungen in Systemischer Beratung und Organisationsaufstellung schon lange angesprochen, so dass sie für die Wissenschaftler und zukünftigen Leiter, Moderatoren, Mediatoren und Berater sehr anschaulich sind.
Ein wesentlicher Punkt ist, dass das Familiensystem durch die Blutsverwandtschaft seiner Mitglieder geprägt ist und alle dazugehören und unersetzlich sind. Auf der anderen Seite, dem Organisationssystem ist die Verbindung von der Einstellung, eine bestimmte Funktion zu besetzen, und seine Mitglieder sind austauschbar, das heißt, vorübergehend. Entweder von der Seite des Unternehmens oder von der Seite des Mitarbeiters.
Die Aufgabe einer Familie ist die Erhaltung ihrer Mitglieder, insbesondere derjenigen, die die Zukunft darstellen, also der Kinder, Enkel und Urenkel. In einem Unternehmen hingegen ist die Mission die Produktion. Solange es eine Produktion gibt, wird das Unternehmen weiter bedient. So haben wir für das Unternehmen die Produktivität als Wert und für die Familie die Liebe und den Austausch.
Der Ursprung einer Familie ist mit dem Genogramm verbunden, mit der Abstammung, mit dem Stammbaum, mit all denen, die die Äste und die Bluterhaltung dieses Systems bilden. Anton de Kroon hat immer betont, wie wichtig es für ein Unternehmen ist, sich seiner Herkunft, also seiner Gründung, bewusst zu sein und mit ihr in Verbindung zu stehen. Das Jahr, die Zeit und der/die Gründer:in des Unternehmens. Diejenigen, die das Fundament, die Mission und die Handlungsform des Unternehmens gelegt haben und wie es sich von dort aus entwickelt, gewachsen ist, sich angepasst und verändert hat.
Der Fokus einer Familie sind die Menschen, die sie bilden, und die Kommunikation ist direkt und informell. In einem Unternehmen liegt der Fokus auf den Funktionen und Positionen, die Menschen einnehmen, und die Kommunikation ist indirekt und formal.
Das sind Punkte grundlegender Unterschiede zwischen einem System und einem anderen, und genau an diesen Punkten haben wir manchmal Verwicklungen und Verwirrungen. Wenn dies geschieht, ist das System blockiert und in Spannung, Unordnung. Diese Punkte müssen angeschaut, erkannt werden, und daraus müssen bestimmte Handlungen, Gesten, Worte, Prozesse erfolgen, damit das System wieder in seiner richtigen Kraft und Form fließen kann.
Sich wiederholende Muster: ein wichtiger Aspekt, den es zu beobachten und zu berücksichtigen gilt
Die Wiederholung, so sagt es uns der Philosoph Hegel, spielt in der Geschichte eine entscheidende Rolle: Wenn etwas nur einmal geschieht, kann es als einfacher Zufall angesehen werden, als etwas, das hätte vermieden werden können, wenn die Situation anders gehandhabt worden wäre; wenn sich aber dieselbe Tatsache wiederholt, ist dies ein Zeichen dafür, dass ein tieferer historischer Prozess am Werk ist.
Die „Ewige Wiederkunft“ – wird von Nietzsche und Schopenhauer in der Philosophie beschrieben. Und lange vor ihnen Aristoteles: „Du bist, was du ständig wiederholst. Exzellenz ist keine Eventualität – sie ist eine Gewohnheit.“
Und viele andere Philosophen und Denker haben auf die Wiederholung, das Muster, die Gewohnheit, als den geschlossenen Kreislauf selbst hingewiesen – der Gleichgewicht bringen kann, wegen seiner Stabilität, aber gewöhnlich Ungleichgewicht bringt, wegen seiner Entfremdung, Trance, Trivialisierung und sogar Selbstsabotage.
Das Konzept des Zwanges und der Wiederholung taucht bei Sigmund Freud 1914 in “ Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten“ auf und meint den Zwang, etwas wiederholen zu müssen. Die Person reproduziert nicht als Erinnerung, sondern als Handlung: ein traumatisches Erlebnis, ein affektiv aufgeladenes mnemisches Überbleibsel, ein zelluläres Gedächtnis, ein kulturell-familiäres (systemisches) Muster u.a.m.
Das vertraute Muster – eine Spur der Zugehörigkeit zum System – aber manchmal auch ein Zeichen für eine nicht erfüllte Aufgabe, der ein Blick und ein Bewusstsein fehlt – ein Ort, eine Verzeihung, eine Versöhnung, eine Geste, ein Wort – wenn es von einer Generation nicht getan wurde, folgt es der nächsten und der nächsten, bis es schließlich erkannt und erfüllt wird. Es geht hier um das Herauskommen aus der Trance und das Erkennen, das Gewahrsein, die Unterscheidung, den Zustand der Präsenz.
Jan Jacob Stam und Bibi Schreuder beschäftigen sich in ihrem Buch mit dem Thema Muster und dem Umgang damit: „Das Phänomen, bei dem Menschen – in einer Familie, in einer Organisation oder in anderen Gruppen – immer wieder den gleichen Platz einnehmen oder bei dem Beziehungen zwischen Gruppenmitgliedern immer wieder der gleichen Regel folgen, nennt man Muster. Patterns sind Lösungen, Reaktionen des Systems. Es spielt keine Rolle, ob dies gut ist oder nicht. Das Schwierige am Bewusstsein des Systems und auch des Musters ist, dass sie unbewusst arbeiten. Ohne es zu wissen oder zu wollen, wird man in einen Platz im System gedrängt. Sie können eine Familie im Großen und Ganzen als ein System von Mustern betrachten. All diese Muster haben die Gesellschaft, die Organisation, die Familie hervorgebracht, in der Sie aufgewachsen sind, und auch Sie, der Sie heute sind. Muster existieren unabhängig von Individuen. Individuen kommen und gehen, werden geboren und sterben, aber Muster haben die Fähigkeit, sich fortzusetzen. Muster ziehen Muster an – wir sehen es ständig – sobald sich ein Teamleiter oder eine Führungskraft dieses Mechanismus bewusst wird, hat er die Wahl: Brauchen wir mehr vom Gleichen, um unsere Ziele zu erreichen, oder brauchen wir ganz andere Muster? Wie Sie aus den Mustern herauskommen: Seien Sie sich bewusst / entwirren Sie die Muster / wachsen Sie über die Muster hinaus / brechen Sie die Muster“.
Das Bild des Systemischen Hexagon, entwickelt von Gerhard Gigler, veranschaulicht mit dieser Struktur die Dynamik, Kommunikation und Haltung eines Menschen in seinen verschiedenen Systemen. Sie hat ihr persönliches Glaubenssystem, ihr privates soziales System, ihr berufliches soziales System und ihr berufliches Glaubenssystem. Im zentralen Bereich haben wir die Möglichkeit, flexibel nach Alternativen und Ressourcen zu suchen, sowohl innerlich als auch äußerlich. Offenheit. Es ist die Suche nach Hilfe sowohl im äußeren Umfeld, z. B. mit Coaching, als auch im inneren Umfeld, z. B. mit den inneren Wahrnehmungen und der durch Lebenserfahrung erlangten Weisheit. Dies sind die Ressourcen, die uns allen zur Verfügung stehen. Wir haben Talente, innere Fähigkeiten, Kapazitäten, die wir mitbringen und auch im Laufe der Zeit entdecken, und wir haben Ressourcen, die uns von unseren persönlichen, familiären, sozialen und beruflichen Beziehungen vermittelt, aufgezeigt und bearbeitet werden.
In der sechseckigen Struktur gibt es Abstände und Flächen für jedes der Systeme. Eine Differenzierung, Trennung, eigene Charakterisierung. Da diese Felder aber interagieren und in ständiger Bewegung und im Fluss sind, geraten sie manchmal durcheinander. Es kommt zu Blockaden und dies führt zu Störungen. Vergangenheit und Gegenwart sind gemischt. Das Hier und Jetzt und das Vorher und Dort überlappen sich. Überzeugungen, Ideale und persönliche Wahrheiten beginnen sich zu manifestieren, sich im beruflichen Umfeld aufzudrängen, vielleicht in einer intensiven, sich wiederholenden, zugespitzten Weise. Sie werden zu dem Zeitpunkt und an dem Ort unzureichend, an dem sie sich manifestieren.
Auch hier gilt wieder der beliebte Satz „Es gibt eine richtige Zeit und einen richtigen Ort dafür“, der bei der Überlappung oder Vermischung von Kontexten nicht zutrifft. In diesem: „Dies ist nicht die Zeit, der Ort, dafür. Das ist zu viel. Das macht in diesem Zusammenhang keinen Sinn.“ Es wird unverständlich, unentzifferbar für Menschen, Prozesse und den jeweiligen Kontext. In meiner persönlichen/familiären Trance bringe ich in das berufliche/organisatorische Umfeld eine Zuneigung, eine Forderung, eine Beschwerde, ein Verhalten ein, das mit und im Umfeld nicht stimmt. Und da ich mich in einer Art Trance befinde, fühle ich mich korrekt, präzise und klar – aber das Feedback, das ich von der äußeren Umgebung bekomme, besteht aus Verwirrung, Abwehr, Reaktion, was jegliche Kommunikation und jeden Austausch sehr schwierig macht.
Ein Beispiel: Ein Manager, der in Meetings meist in einem hohen Tonfall spricht und viel mit den Armen gestikuliert. Einer der Mitarbeiter begann schon in den ersten Gesprächen, eine Abneigung gegen diesen Manager zu entwickeln. Langsam wurde bemerkbar, wie er den Manager gegenüber Kollegen kritisierte und ihn in Pausen und bei Veranstaltungen vermied. In einem bestimmten Moment wurde aus dieser Vermeidung eine Abneigung und ein Widerstand, der es ihm unmöglich machte, in den Teambesprechungen oder in Gesprächen zwischen ihm, seinen Kollegen und „diesem“ Manager zu bleiben. Eine heikle Situation, die die Aufmerksamkeit des Bereichsverantwortlichen auf sich zog, der diesen Mitarbeiter auf ein Coaching verwies. In diesem Coaching-Arbeit mit dem Systemischen Hexagon wurde eine Blockade wahrgenommen, ein Unbehagen im Fluss zwischen dem Persönlichen Glaubenssystem und dem Beruflichen Glaubenssystem. Bei der Betrachtung des „Problems“ und der Frage, was diese Führungskraft konkret bei dem Mitarbeiter ausgelöst und bewirkt hat, erinnerte sich dieser an seinen Großvater, mit dem er als Kind viel Kontakt hatte. Er erzählte, dass sein Großvater ein großer, starker und rauer Mann war. Als Ex-Kombattant im Zweiten Weltkrieg übertrieb er es mit den alkoholischen Getränken und redete ständig laut im Haus, gestikulierte und war aggressiv gegenüber seiner Frau, Tochter und Schwiegersohn. Diese Erinnerung brachte dem Mitarbeiter eine Menge Bedeutung und Klarheit. In einem internen Prozess hat er dem Manager das Bild dieses Großvaters überlagert. Beide Figuren der Macht und das hatte im Tonfall und in der Art zu gestikulieren, Ähnlichkeiten, die bei diesem Mitarbeiter alte und schmerzhafte Erinnerungen auslösten. Eine vertraute Trance, die in das organisatorische Umfeld eingebracht und mit der Figur des Managers überlagert wird. Bei diesem Mitarbeiter war die Reaktion, bis dahin teilweise unbewusst, von Abscheu, Angst und Widerwillen geprägt.
Ein anderer Fall zur Veranschaulichung: Ein junger, gebildeter und fähiger Mann, einziger Sohn, der von seiner Mutter und seiner Großmutter mütterlicherseits in einem Haus aufgezogen wurde, war immer sehr lieb, umsorgt und in gewisser Weise verwöhnt in seinem Zuhause. Er hatte sein eigenes Zimmer und viele Freiheiten. Von seiner Mutter und Großmutter hörte er immer: „Du bist der Mann in diesem Haus…du bist sehr intelligent und fähig“. In seinem ersten Job wurde er von seinem Vorgesetzten in eine große Halle geführt, in der sich viele Mitarbeiter:innen befanden, und man wies ihn auf einen Tisch hin, an dem fünf Sitze mit Mitarbeitern, ihren Computern und Telefonen besetzt waren und ein Stuhl leer war. Ihm wurde vom Vorgesetzten gesagt: „Das ist Ihr Bereich. Hier arbeiten Sie jeden Tag von 8 bis 18 Uhr. Bei Fragen können Sie mich an meinem Schreibtisch anrufen, der sich gegenüber von Ihrem befindet. Ihr Computer und Ihr Telefon sind bereits frei“. Der Junge lächelt schüchtern und versucht, sich in dieser Umgebung voller Geräusche und Bewegungen, unbekannter Menschen, ja sogar fremder Menschen zu konzentrieren, und fragt den Manager: „Aber ich werde mein Zimmer nicht zum Arbeiten haben? Bei so viel Lärm und Bewegung um mich herum werde ich mich nicht auf Anrufe und Berichte konzentrieren können“. Der Manager schaut den Jungen mit einer Mischung aus Erstaunen und Belustigung an und antwortet: „Daran wirst du dich bald gewöhnen“. Der Manager hat Recht… wenn der Junge seine Erwartungen und Überzeugungen, eines Einzelkindes, das sein eigenes Zimmer hat und von seiner Familie verwöhnt und umsorgt wird, beugen kann – um eine kollektive Umgebung zu betreten, voll von Farben, Formen, Klängen und Dynamiken, die bis dahin unbekannt und manchmal, feindselig, ungewohnt sind. Die Erwartungen und Phantasien müssen gesehen, überprüft und bewusst, angepasst werden. Wie kann ich das, was ich bisher gelernt habe, auf diese Umgebung übertragen, ohne sie so zu behandeln, als wäre sie die gleiche? Sondern es in seinen Unterschieden und Qualitäten zu erkennen und mit diesen umzugehen, von meinen Fähigkeiten und Kapazitäten her, hier und jetzt, in dieser Situation.
Wir versuchen, unseren Kunden eine umfassende Vision ihrer verschiedenen Kontexte und ihrer verschiedenen Empfindungen und Emotionen in jedem zu vermitteln. Ein Raum des Ausdrucks und auch der Differenzierung. Sie bringen Klarheit und Bewusstsein in ihre Bewegungen, Dynamiken, Verhaltensweisen und Glaubensmuster. Dieses Bewusstsein kann auf diese Mischungen, Überschneidungen, Verwirrungen, Verstrickungen von Kontexten, Situationen, Ereignissen, Menschen einwirken.
Wie Jan Jacob Stam hervorhebt, ist eine wesentliche Dynamik eines systemischen Prozesses die Bewegung des Entwirrens und dann des Wiederverbindens. Und das machen wir mit unserem Kunden. Ohne Urteil oder Vorwurf. Welche internen Ressourcen hat unser Kunde, um mit dieser Situation, diesem Ereignis oder dieser Person umzugehen? Auf welche externen Ressourcen kann er zurückgreifen, um ihm zu helfen? Welche neuen Wege und Möglichkeiten wurden in diesem Prozess, aus dem gegebenen „Problem“, gelernt und gesehen? Wie war es, und hat es sich auf seine Weise verhalten, und wie kann es jetzt sein? Was ist von da an möglich? Was sind die neuen Grenzen? Was sind die neuen Amplituden?
Bewusst werden und differenzieren
„Oft arbeiten in Unternehmen und Organisationen wichtige Verbindungen im Hintergrund. Dies sind Verbindungen zu Personen oder Ereignissen. Verbindungen, denen wir wenig oder keine Bedeutung beimessen, die wir vielleicht vergessen haben oder sogar vergessen wollen.“ Peter und Tsuyuko Spelter
Wie Jan Jacob Stam erklärt, was machen wir als systemische Berater, als Facilitatoren? Wir schauen uns an, was wirkt. Das, was auf seine eigene Weise wirkt. Unternehmen haben Missionen. Positionen haben Funktionen. Von Mitarbeiter:innen besetzte Funktionen. Was wirkt hinter den Missionen, Funktionen? Was sind die Verknüpfungen und Verbindungen, die sich aus den Funktionen ergeben. Was ist der Ursprung der Position und deren Geschichte, Verlauf, Entwicklung? Wie haben sich Menschen in dieser Position und in der Unternehmensgeschichte verhalten? Wie hat sich diese Geschichte auf die Mitarbeiter:innen und das Unternehmen selbst ausgewirkt, auf den Status, die Mission und die Marktleistung?
Wir schauen uns die Beziehungen an, die entstehen, und die Art und Weise, wie sie entstehen. Wie sie handeln und agieren. Welche Verbindungen sie herstellen, welchen Abläufen sie folgen und wie jeder einzelne mit dem umgehen wird, was sich von dort aus zeigt.
Wir alle tragen Lasten, Schuldgefühle, Glaubenssätze und schwierige und alte Schicksale. Kulturelle und sprachliche Kennzeichen und Zeichen, Ideale und Wahrheiten, die uns vorausgehen, aber Teil von uns sind. Verteidigungsmechanismen und Verhaltensmuster, die früher sehr nützlich und zeitgemäß waren. Von unseren Vorfahren geerbt oder sich auf alte Dinge beziehend, die uns widerfahren sind und von denen wir uns nicht so leicht befreien können. Manchmal nehmen wir sie als selbstverständlich hin. Wir kommen darauf zurück, wiederholen Muster, Sprache, Verhalten manchmal in Situationen und Kontexten, die völlig inkongruent sind. Wir kleben ein Bild der Vergangenheit an das Bild der Gegenwart. Wir aktualisieren zwangsweise die Vergangenheit im gegenwärtigen Moment. Gespenster und Erwartungen, Phantasien von anderen Momenten, transponiert ins Hier und Jetzt…über Personen und Situationen, die nichts mit diesen Dramen, Plots und vergangenen Fakten zu tun haben.
Und vielleicht können wir durch die Stolpersteine und Fehler des Alltags, also durch einen Prozess der Bewusstwerdung, Anleitung und Kontrolle, wie Sigmund Freud sagte, „erinnern, wiederholen und Durcharbeiten“.
Unsere Arbeit, Vision und Haltung ist es, das Gezeigte, die Art und Weise, wie es gezeigt wird, zu erkennen; sich dessen bewusst zu werden; Aspekte, Prozesse, Charaktere zu differenzieren; auf das Wahrgenommene, Bewusstgemachte und Gelernte zu verzichten, umzustrukturieren, auszuarbeiten und damit umzugehen.
Wir entwickeln pointierte Fragemethoden, um das Wesentliche an die Oberfläche kommen zu lassen. Wir werden auf Muster aufmerksam. Auf das, was gezeigt wird, auf die Art, wie es gezeigt wird. Sehen, Wahrnehmen, Erkennen der Zeichen. Zuhören und Hören. Kenntnis der Prozesse und ihrer möglichen Mischungen. Wir aktualisieren interne und externe Ressourcen wann immer möglich. Bewusst und in einem Zustand der Präsenz.
„Wo im Beruf Misserfolg droht, bringt eine Familienufstellung sofort ans Licht, was in der Familie und anderen Beziehungen des Betroffenen ungelöst geblieben ist und wie dies Erfolg und Misserfolg beeinflusst. Wenn im Leben etwas in Ordnung gebracht wird, wird auch im beruflichen Bereich Ordnung geschaffen.” Bert Hellinger
Psychotherapeut, Psychoanalytiker, Moderator in Familienaufstellungen und systemischer Beratung, Dozent, Dolmetscher (Deutsch und Englisch), Schriftsteller.
Bibliographische Referenzen
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