„Pseudo-Coachings“ verhindern (nicht immer) die Entfaltung von „High-Quality-Coaching-Potenzialen“
Der Coaching-Begriff wird derzeit sehr inflationär gebraucht und einmal durch den TV gezappt, staunt man nicht schlecht, was da alles als Coaching bezeichnet wird. Hier hört man von „Koch-Coaches“, „Erziehungscoaches“ etc.
Klar ist jedenfalls, dass der Begriff „Coaching“ auch in der Literatur unklar ist, was es dem Laien in seinem Entscheidungsprozess für den „richtigen“ Coach nicht leichter macht. Und doch gibt es Merkmale, die eine Unterscheidung von „Pseudo-Coachings“ und „seriösen Coaching-Prozessen“ ermöglichen. Die angefügten Stichpunkte hierzu wollen einige Aspekte herausgreifen und keinesfalls als abgeschlossen gelten. So zeichnet sich professionelles Coaching aus durch ein/e…
- prozessorientiert Haltung: Zielorientierung wurde vor allem durch lösungsfokussierte Verfahren und durch das Neurolinguistische Programmieren bekannt. Jedoch geht es dabei um eine wohlgeformte Zielformulierung und Wohlformulierung schließt in erster Linie mit ein, dass die Zielformulierung offen ist für den Prozess, statt vorgedachte Lösungen verfolgen zu wollen. Wird die Manifestierung der Zielerreichung vor den Prozess gestellt, entspricht dies eher dem Management by Objectives (MbO) und bedeutet Leitung und Führung durch Zielvereinbarung. Unterschiedliche Eigeninteressen verleiten dazu den Coachingprozess zu dieser Alibi-Funktion zu degradieren. Der seriöse Coach arbeitet in seiner Haltung jedoch klar prozessorientiert und ist kein „Führungsassistent“.
- klares Kontraktgeschehen: Der gute Umgang mit Dreieckskontrakten und das Verhandeln dessen zeichnen einen guten Coach aus, der weder einseitig solidarisch der Organisation gegenüber ist, noch den Mitarbeiter/innen gegenüber. Die bedeutsamste Blickrichtung ist die eigentliche Arbeitsaufgabe bzw. die Klient/innen oder Kund/innen der Organisation, denn dieser Blickrichtung sind alle Beteiligten verpflichtet. Rückkoppelungsprozesse werden den Informationsfluss transparent machen, um Lernende Organisation zu fördern. So ist der Coach allparteilich und kein „Anwalt Benachteiligter“.
- eindeutige Fokussierung von Work-Private-Balance: Die Ressourcen aus dem beruflichen Kontext werden ebenso nutzbar gemacht werden, wie die Ressourcen aus dem privaten Bereich. Diese Balance von den beiden Seiten „work und private“ wird zentraler Maßstab für Korrekturbedarf bieten und beide Felder werden in ihrer Spiegelqualität reflektorisch nutzbar gemacht werden. Ein erfahrener Coach wird in beiden Bereichen versiert sein, und in erster Linie Balance-Profi sein, und weder „Psychotherapeut“ noch „Organisationsentwickler“.
- Betonung des eigenen inneren Coaches: So wichtig die Ressourceorientierung im Prozess erscheint, geht die Arbeit des Coaches einen wesentlichen Schritt weiter. Die ressourceerfüllte Rolle im inneren Team wird im Coachee erfahrbar als innerer Coach. Dem gilt die Aufmerksamkeit und der professionell arbeitende Coach wird sich dieser Energieumlenkung widmen vom Blick auf seine Lösungskompetenz hin zur Lösungskompetenz des inneren Coaches des Coachees. Oftmals als Lösungsprofi vom Coachee angesehen, lässt sich so mancher Coach davon umschmeicheln und wird der Versuchung zum Experten gemacht zu werden, erliegen. Jedoch ist er derjenige, der um den inneren Coach und dessen Stärke im Coachee selbst weiß und ist nicht der „Experte für die Lösung“.
- Integration von Methodenvielfalt, die nicht zu verwechseln ist mit Häufigkeit und erst recht nicht mit Beliebigkeit im Einsatz unterschiedlicher Methoden und Techniken aus dem Coachingtool-Koffer. Basis für einen professionellen Coaching-Prozess ist eine Haltung, aus der heraus sich Methoden entwickeln, denn der Coach weiß sich der Einmaligkeit des jeweiligen Prozesses verpflichtet und ist keinesfalls „Trainer“ und „Methodenanwender“.
- Einbindung des Coaches in Verbandsarbeit: Wenn auch nicht jeder Coach, der einem Verband zugehörig ist, der „richtige“ Coach sein muss, so bietet doch die Zugehörigkeit zu einer organisationalen Struktur, die Standarts fördern und weiterentwickeln, eine Leitlinie. Zunehmend gewinnt auch die internationale Tätigkeit, wie bei der „ECA, der European Coaching Association“ an Bedeutung. Rahmenstruktur und kreativer Freiraum gehen hierbei Hand in Hand und bereichern sich wechselseitige, denn der seriöse Coach versteht sich nicht als „esoterischer Beratungssingle“.
„Pseudo-Coachings“ von „High-Quality-Coachings“ zu unterscheiden, gehört wohl zu den ersten bedeutenden und herausfordernden Schritten bei der Coachsuche und bietet dem erfahrenen Coach zugleich schon genügend diagnostisches Material für den Start des Prozesses. Dies sehe ich auch als größten Gewinn des inflationären Gebrauchs des Coaching-Begriffes. High-Quality-Coaching wird diese Basis für Organisationen und Mitarbeiter/innen nutzen, um die vorhandenen Potenziale auf hohem Niveau zu entwickeln.
Gerhard Gigler
INTAKA-Akademieleiter
ECA-Vizepräsident