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    Perspektivenwechsel – „Wenn ich nur wüsste, was ich (beruflich) will…“

    von Bettina Schuler

    Seit über fünf Jahren arbeite ich als Coach und Trainerin mit gut ausgebildeten Menschen, die sich – meist unfreiwillig und oft in der Lebensmitte – beruflich nochmal neu erfinden müssen. Das sind Menschen, die „der Liebe wegen nach München gezogen sind“ und in der neuen Stadt den Einstieg in den Beruf nicht finden, Mütter die ihren alten Beruf der Kinder wegen nicht mehr ausüben wollen oder können, Kreative deren Kunst nie zum Leben gereicht hat und Menschen die den alten Beruf aufgegeben haben, weil er sie auf die eine oder andere Art unzufrieden oder sogar krank gemacht hat. Menschen in Umbruchsituationen und Krisen also und nicht zu beneiden – sollte man denken!

    Umso erstaunlicher sind die Reaktionen meiner Freunde, Bekannten und unbekannter Gesprächspartner auf Partys, sobald die Rede auf meinen Beruf als Coach und meine Zielgruppe kommt: stärker als Mitleid oder ein „hoffentlich passiert mir das nicht“ ist oft ein gewisser Neid auf die Chance, sich nochmal neu zu erfinden. „Oh Mann ich sollte das endlich auch mal machen, raus aus dem Trott“, „wenn ich könnte würde ich ….“, „ich habe so gute Ideen aber mir bleibt keine Zeit sie anzugehen“ und: „eigentlich wollte ich mich schon längst um einen neuen Job kümmern“. Und dann: „kannst du mich nicht auch mal beraten?“ oder: „hast du nicht einen guten Tipp für mich?“. Gefühlt ist die Hälfte aller Menschen in der Lebensmitte unzufrieden mit ihrem Beruf, nicht erfüllt, genervt, am falschen Platz, überfordert oder gelangweilt.

    Natürlich stecken viele von uns in finanzieller Verantwortung für eine Familie, wir leben in einer teuren Stadt mit teuren Wohnungen und wer dann noch ein Auto besitzen und ab und zu schön in Urlaub fahren will, der arbeitet auch fürs Geld. Ich glaube auch nicht, dass ein Beruf dazu da ist, uns glücklich zu machen und uns ganz zu erfüllen – aber er sollte in unser Leben und zu unserem momentanen Ich passen. Und es ist nicht leicht zu entscheiden, wann unser Job noch genau der Richtige für unser Gesamtkonzept Leben ist – und wann es Zeit ist, etwas zu verändern.

    Genau diese Entscheidung haben meine Coachees hinter sich, daher offensichtlich der Neid der anderen. Der erste Schritt ist getan, die Entscheidung etwas Altes aufzugeben ist gefallen, es gibt kein Verharren mehr sondern nur noch ein Vorwärts. Es herrscht Klarheit zumindest darüber, was nicht mehr sein soll oder wird. Und der Weg ist –zumindest theoretisch – frei für etwas Neues, Besseres.

    Natürlich könnten auch wir für eine Weile aussteigen und uns auf unsere Entwicklung konzentrieren, so wie der Manager Herr H., der nach einem Sabbatical merkt, dass seine Werte sich grundlegend verändert haben und er in Zukunft zwar wieder im alten Bereich arbeiten möchte, aber gerne mit weniger Verantwortung, Zeitaufwand und Druck – dafür nimmt er weniger Geld und Anerkennung in Kauf, gewinnt aber Zeit für sich und seine Leidenschaft, das Bergsteigen. Oder Frau S., Grafikerin und Mutter zweier Kinder die nach einer anstrengenden Phase mit Job und zwei Kleinkindern zur Zeit nicht arbeitet und sich intensiv um sich und ihre berufliche Zukunft kümmert, die sie im sozialen Bereich sieht.

    Mich reizt aber noch viel mehr der Gedanke, wie es – auch in vollem Lauf, parallel zu unserem eh schon vollen Leben – gelingen kann, zu mehr Klarheit zu kommen und Entscheidungen für unsere berufliche Zukunft zu treffen um nicht vom Leben gelebt zu werden sondern eben selbst am Ruder zu sitzen. Also: was können meine Freunde, Bekannten und Gesprächspartner tun, statt „wenn ich könnte würde ich“ zu sagen? Und: was hindert sie eigentlich daran, einfach mal loszulegen? Zumindest mal im Kleinen?

    In Georg Christoph Lichtenbergs berühmten Zitat finden wir ihn schon, den größten Hinderungsgrund: „Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders wird; aber so viel kann ich sagen: es muss anders werden, wenn es gut werden soll“. Wir haben Sorge, dass wir viel Zeit, Geld, Energie und Anstrengung in einen beruflichen Richtungswechsel investieren – und dann wird nichts draus, wir fühlen uns danach vielleicht nicht glücklicher, reicher oder anerkannter. Wir müssen uns aus unserer vielzitierten Komfortzone hinaus bewegen, mit neuen Rollen und Situationen zurechtkommen, erleben uns vielleicht sogar wieder unsicher und im Stress. Und vielleicht macht man sich sogar zum Narren. Soll man sich das wirklich antun?

    Ich sage: ja! Es lohnt sich einfach immer, Dinge zu wagen, sich Herausforderungen zu stellen und sich ab und zu mal – uns sei es nur in kleinen Nischen – neu zu erfinden, weil: dadurch wachsen wir, lernen uns selbst besser kennen und werden immer mehr wir selbst. Wir müssen es nur tun! Aber was?

    Bei mir zu Hause im Wohnzimmer steht das sehr lesenswerte Buch „Ich könnte alles tun wenn ich nur wüsste was ich will“ von Barbara Sher. Aufmerksam geworden bin ich, seit gefühlte 90 Prozent aller meiner Besucher anfragen, ob sie es sich ausleihen können – die anderen Bücher, durchaus auch Literatur aus den Bereichen Coaching und Persönlichkeitsentwicklung werden nur wenig beachtet. Es handelt – kurz gesagt – davon, wie herausfordernd es ist, überhaupt eine Vision oder ein Ziel für sein Leben zu entwickeln.

    Wenn ich meine Gesprächspartner frage, was denn ihre eigentliche berufliche Vision wäre, dann wird oft genannt: die Strandbar in Asien, das einfache Leben als Sennerin in den Bergen, der Lottogewinn oder die Musikerkarriere. Das sind in der Regel schöne Träume oder sogar kleine Alltagsfluchten, die uns unser Leben versüßen und die wir uns auch unbedingt behalten sollen!

    Aber wer es ernst meint mit dem Veränderungswunsch der muss erstmal herausfinden, was er wirklich will, jenseits von Trends, alten Träumen und Verpflichtungen. Sehr gerne empfehle ich dann z.B. die Übung „10 Leben“ aus Barbara Shers Buch: Hier geht es darum, 10 ganz unterschiedliche, auch gewagte Varianten meines Lebens zu entwickeln, so wie es vom heutigen realistischen Standpunkt aus weitergehen könnte. Mit aller Lebenserfahrung, allem Können, allen Träumen, Hoffnungen, Beziehungen, Verpflichtungen, Ressoucen, Einschränkungen und Werten, die ich habe. Es geht darum, Entscheidungen zu treffen, was in meinem Leben bleiben soll, wovon ich mich verabschieden will und kann und was neu dazu kommen soll. Also: 10 Blätter Papier, ein Stift und zwei Stunden Zeit uns schon kanns losgehen!

    Vielleicht stellt sich dabei heraus, dass beruflich im Großen und Ganzen alles gut ist so wie es ist und dass die Wünsche für die Zukunft ganz praktisch umsetzbar sind. Oder es gibt da wirklich etwas, das noch fehlt im Leben. Ich spreche hier nicht von Selbstoptimierung und Karriere – sondern von echten Herzensangelegenheiten, von Dingen, die man beruflich er-leben oder sein möchte.

    Letztendlich geht es also darum herauszufinden, was sich ändern muss, damit sich das berufliche Leben nicht wie ein fader Kompromiss anfühlt. Sind es die Kollegen? Die ausbleibende Anerkennung? Routine statt Herausforderungen? Fehlende Wachstumsmöglichkeiten? Die Berufung? Das Geld? Die Work-Life-Balance? Oder ist es gleich der ganze berufliche Bereich?

    Manche Menschen können gut mit Hilfe von Büchern an diesen Fragen arbeiten, viele lassen sich von einem Coach begleiten, einige probieren aktiv neue Wege aus und können nur so herausfinden, was das Richtige für sie ist. Aber alle sagen, es sei allein schon anstrengend herauszufinden, was man eigentlich möchte und es fühle sich manchmal fast wie eine Zumutung an, solche Veränderungen anzugehen – und: einen solchen Prozess zu gehen und sich für seinen Beruf ganz bewusst zu entscheiden mache lebendig, klar, authentisch, satt und zufrieden!

    Manchmal trifft man auf Menschen, die sich offensichtlich auf eine solche Art für Ihren Beruf entschieden haben. Das sind dann meistens sehr positive Begegnungen…

     

    Bettina Schuler (Jahrgang 1970)

    ist Diplom-Sozialpädagogin, Medienpädagogin, NLP-Trainerin, DVNLP und Systemische Beraterin. Seit über 5 Jahren ist sie hauptberuflich als Coach und Trainerin tätig. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Begleitung von Erwachsenen, die sich in beruflichen Veränderungsprozessen befinden. Sie ist INTAKA-Regionalmanagerin und lebt mit ihrem Mann und zwei Söhnen in München.

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