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    Ellipse des sexuellen Begehrens und einer selbst-bestätigten Intimität

    Ein Modell systemischer Beziehungsdynamik von Gerhard Gigler

     

    Kennen Sie solche oder ähnliche Fragen oder Aussagen von Freundinnen, Freunden oder vielleicht auch von sich selbst?

     

    • „Wieso klappt es wieder nicht mit dem neuen Partner, es fing doch alles so gut an?“
    • „Es ist immer wieder das Gleiche mit dem anderen Geschlecht und ich hab so langsam keine Lust mehr darauf, mir Hoffnungen zu machen.“ (zu 5-10% trifft die gleiche Aussage natürlich auf das gleiche Geschlecht zu)
    • „Ich bleib lieber allein, schau doch nur, was für resignierte Typen da draußen rumlaufen. Ich habe jedenfalls genug von Datings.“
    • „Ich liebe meine Frau, aber den besseren Sex habe ich mit anderen.“
    • „Eigentlich denke ich manchmal über Trennung nach, aber im Herzen liebe ich ihn und wir haben uns ja auch schon so aneinander gewöhnt!“
    • „Wir verstehen uns seit vielen Jahren und ich liebe ihn, aber Sexualität leben wir eher nur sehr gelegentlich oder ehrlich gesagt: gar nicht mehr.“

    Kann sein, dass Ihnen Ähnliches bekannt vorkommt?

    Gerade in letzter Zeit darf doch darüber auch gesprochen werden – oder etwa nicht? Wir können uns vor Erotik und Sex ja kaum retten in den Medien, also ist das alles doch kein Tabu mehr – oder etwa doch?

    Sicherlich haben Sie schon viele Aussagen gehört – aber auch die letzte?

    Die letzte Aussage wohl eher am wenigsten, denn darüber darf meist nicht gesprochen werden. Man ahnt es oder spürt es, aber es „ist doch eh normal, dass man immer weniger Sex hat, wenn man schon so viele Jahre zusammen ist. Zudem nimmt die sexuelle Potenz mit zunehmendem Alter ab“, sagen manche.

    Aber stimmt das wirklich?
    Auch wenn die Zahlen in den unterschiedlichen Statistiken immer wieder sehr variieren, scheint zumindest zu stimmen, dass …

    … die TOP 3 der Beziehungsprobleme laut einer Studie aus dem Jahr 2016 nachfolgende sind:

    1. Probleme durch das Gesprächsverhalten, wenn es Probleme in der Partnerschaft zu lösen gibt (52 %)
    2. Probleme durch das Äußern von negativen Gefühlen und Kritik (50 %)
    3. Probleme beim Sex und bzgl. der Erotik (49 %)

    Die Prozentangaben bedeuten dabei, wieviel % der Teilnehmenden Probleme im jeweilig genannten Bereich angegeben haben.

    In der gleichen Studie wurde jedoch auch abgefragt, welches Problem am schwersten wiege – also am stärksten belaste – und es stand dabei die Nummer 3, also das Problem mit Sex und Erotik an erster Stelle. Und es war auch klar, dass in Partnerschaften nicht wirklich klar und nicht angstfrei darüber gesprochen werden kann.

    Weiterhin scheint es ein Fakt zu sein, dass…

    … ca. 35 % der Männer über sexuelle Probleme klagen (nicht im Laufe ihres Lebens – da sind es noch viel mehr –, sondern im letzten Jahr) und 45 % der Frauen (deutsches Ärzteblattes aus dem Jahr 2020 – Dunkelziffer nicht erfasst!).

    … über 50 % der Männer, die über 50 Jahre alt sind, über Erektionsprobleme klagen (Dunkelziffer nicht erfasst!) und ebenso ca. 20 % der 18 – 25-jährigen Männer. Das junge Männer darüber klagen ist neu und die Zahl ist ansteigend. Hierbei macht es nochmals einen Unterschied, ob die Erektionsproblematik mit der eigenen Partnerin auftritt oder beim sogenannten „Fremdgehen“. Mit der eigenen Partnerin tritt sie häufiger auf.

    … 17 % der Frauen noch nie einen Orgasmus erlebt haben und nahezu jede Frau schon mal einen vorgetäuscht hat – und die Dunkelziffer?

    … ca. 32 % der Männer, die in einer Beziehung stehen, sexuelle Außenkontakte haben und ca. 27 % der Frauen (dt. Ärzteblatt) – Dunkelziffer nicht erfasst!

    … sich die Einpersonenhaushalte auf 42 % erhöht haben (dpa).

    … ca. 25 % – 32 % als Single leben (Bundeszentrale für politische Bildung).

    … die meisten der Singles einer Partnerschaft nicht abgeneigt gegenüberstehen, auch wenn sie nicht aktiv danach suchen – also eigentlich schon gerne in einer Partnerschaft leben würden.

    … mehr als die Hälfte aller Singles das Internet für die Partnersuche nutzen.

    … ca. 80 % aller Singles eine ernsthafte Beziehung suchen, nicht nur Sex.

    Welcher Statistiken man auch immer begegnet, welche Zahlen man auch immer für die exakten hält, und was auch immer die Motivation bei all den Umfragen ist, eins kann man summa summarum jedoch feststellen:

    • Beziehungsprobleme und sexuelle „Störungen“ sind häufig und können folglich als normal bezeichnet werden.
    • Sexuelle Funktionsstörungen werden oftmals als medizinisches Problem betrachtet, statt die sinnige Funktion (dazu kommen wir noch) der sogenannten „Störung“ zu sehen, die zur persönlichen Reife ebenso beiträgt, wie zu einem neuen Entwicklungsschritt in der Beziehungsdynamik.
    • Die Beziehungsdynamiken in Paarbeziehungen (incl. der sexuellen Dynamiken) werden jedoch leider meist nicht in ihrem Wert für den persönlichen Lern-, Wachstums- und Reifeprozess gesehen und auch nicht in ihrem Wert für den Entwicklungsprozess der Beziehung. Damit bleiben oben genannte „Störungen“ eben Störungen, statt ihr Potenzial zu erkennen: ihr Potenzial für weitere Schritte in Richtung persönlicher und beziehungsdynamischer Reife.
    • Singles erleben oftmals Frust in der Partnersuche und stoßen auf eine Art Jo-Jo-Effekt nach gescheiterten Datings. Der Blick dafür, welche Systemische Rolle Sexualität in der eigenen Beziehungsdynamik spielt ist unterbelichtet – auch in der Literatur.

    Ein Modell, das sich spezifisch mit dieser Dynamik beschäftigt und Impulse bei der Antwortsuche auf eigene Fragen bietet, ist die Ellipse des sexuellen Begehrens und der selbst-bestätigten Intimität, es ist ein Modell der Systemischen Beziehungsdynamik, die die Systemische Rolle von Sexualität inkludiert.

    Ellipse des sexuellen Begehrens und der selbst-bestätigten Intimität
    Ein Modell der Systemischen Beziehungsdynamik
    von Gerhard Gigler

     

    Das Modell der Systemischen Beziehungsdynamik

    Die Ellipse des sexuellen Begehrens und der selbst-bestätigten Intimität ist ein Modell, das das „ganz normale“ prozesshafte Geschehen des sexuellen Begehrens und der Intimität strukturiert veranschaulicht. Die systemischen Komponenten der Beziehungsdynamik werden dadurch sowohl für Paare, als auch für Singles plastisch dargestellt.  Es geht um Muster, die wir wohl alle gut kennen. Es geht um die Dynamik innerhalb einer Partnerschaft und auch um die Dynamik, um die Singles kreisen.

     

    Doch wo fangen wir an?
    Fangen wir mal bei Adam und Eva an. Und es versteht sich von selbst, dass es auch um Adam und David gehen könnte, oder um Eva und Sarah. Natürlich gibt es einige Unterschiede bzgl. der gleichgeschlechtlichen und der gegengeschlechtlichen Beziehungsdynamik. Diese sind in diesem Artikel aber nicht im Fokus, sondern es geht hier ausschließlich um die Aspekte, die alle gleichermaßen betreffen, heterosexuelle und homosexuelle Menschen.

    Also sprechen wir mal – einfachheitshalber – von Adam und Eva, oder ein wenig gender-gerechter von Eva und Adam und fangen wir bei der Komfortspirale an. Wir könnten jedoch an jeder x-beliebigen Stelle des Modells beginnen, denn es hängt davon ab, wo jemand gerade steht, in welcher Phase sich jemand gerade befindet.

     

    Die Komfortspirale – im Kern ist dies auch eine Verschmelzungsspirale

    Ein gängiges Beispiel: Die zwei – Eva und Adam – sind seit langem ein Paar. Sie lieben sich, sie verstehen sich, sie sind ein eingespieltes Team. Alles passt und alles funktioniert ganz wunderbar. Aber eben: „es funktioniert“ – der Alltag funktioniert, das Sexualleben nicht zufriedenstellend! Früher hat es noch „gefunkt“, aber das ist längst Geschichte. Und Eva meint: „Mit der Liebe ist es eben genauso, man liebt mehr vom Herzen her, wenn man so lange zusammen ist. Man liebt immer intensiver und ganz tief. Dabei spielt Sex aber immer weniger eine Rolle. Sex wird sowieso überbetont.“

    Gerade langjährige Partner:innen befinden sich oft in dieser Komfortspirale. Alles passt (im Außen), alles ist bequem, wir spüren Sicherheit, die man jedoch meist (wenn auch nicht gerne) mit einer gewissen sexuellen Langeweile bezahlt. „So ist es eben“, heißt es dann oft. So kreisen die zwei um ihr Alltagsleben und finden es ganz normal, und manchmal wird es eben sexuell gesehen (und nicht nur das) enger und enger bzw. weniger und weniger – meist: je bequemer und komfortabler es im Außen wird. Die Beziehungsspirale wird immer mehr zur Verschmelzungsspirale, je enger man die Kreise in der Mitte zieht. Die zwei verschmelzen miteinander. Es gibt kein profilstarkes Ich und kein profilstarkes Du mehr, sondern ein „Wir“. Das ist schön, hat aber eben auch einen hohen Preis: die Autonomie des Ich´s – bei beiden. Deshalb wird auch das Du weniger prägnant erlebt. Sexualität wird ebenso unprägnant und lau.

    Also zur oben genannten Frage, ob es primär das Alter ist, wenn im Bett nichts mehr läuft: ein eindeutiges Nein!

    Es ist nicht primär das Alter, wenn´s nicht klappt, es ist der Komfortstatus!

    Auch Singles können sich in der Komfortspirale bequem einrichten: „…ich mach’s mir selbst schön und habe gelernt gut mit mir umzugehen – das ist eh das Wichtigste: die Selbstliebe!“. Sowas in der Art ist dann zu hören. Allerdings bleiben Aspekte der Sexualität und Partnerschaft dann ungelebt. Selbstliebe aber, die diese wichtigen Aspekte des eigenen Selbst ausklammert, ist dann eben genau das nicht, was das Wort „Selbst-Liebe“ meint, denn das ganze Selbst ist nicht beteiligt. Kompensationsfelder für die ausgeklammerten Aspekte von Sexualität und Partnerschaft gibt es dann auch genügend: Arbeit, Familie, Freunde, Esoterik, religiöse und individuelle Riten, Shopping etc. diese Kompensationsfelder sind auch alle legitim und ganz wunderbar und sinnvoll. Die Frage bleibt – und die muss sich jede Person selbst stellen –, ob diese Felder das Eigentliche wirklich abdecken. Aber auch das wäre ein eigener Artikel und ist hier nicht im Fokus.

    Innerhalb der Komfortspirale entwickelt man dann seine eigenen Besonderheiten – als Paar, wie auch als Single – und zieht dann eben seine Bahnen noch enger oder etwas weiter.

    Die Dynamik, die diese Spirale beinhaltet, könnte noch intensiver beleuchtet werden. Ich denke aber Sie haben Fantasie genug und auch eine gute Wahrnehmung Ihrer Umgebung, um das Bild des Geschehens innerhalb der Komfortspirale selbst weiter zu malen. Und oft höre ich genau diesen Satz: „…bei denen hat doch alles gepasst, ich hätte nicht geglaubt, dass die sich trennen…“.

    Zudem geht es nun an dieser Stelle des Artikels eher darum: Wie komm ich da raus? Gibt es eine langjährige liebende Partnerschaft, in der sexuelles Begehren auf prickelnde Art und Weise bleibt und Intimität mit Esprit gelebt werden kann?

    Und „Ja“, diesen Ausweg gibt es und er ist lohnend.

    Allerdings: er führt über ein ungeliebtes Terrain. Denn je mehr ich versuche in die Weite Komfortspirale zu kommen, desto mehr nähere ich mich jenem Gebiet, in dem Ängste auftauchen und ich mich mit meinen eigenen Ängsten konfrontieren muss. In der Komfortspirale geht es um das Erleben von Nähe, das „Nähe-Erleben“, das erstickend eng werden kann und auf ungute Art „Ich und Du“ verschmelzen lässt, so dass es nur noch ein Wir gibt. Und je mehr man sich weitet je mehr man in der Spirale nach außen geht, umso mehr nähert man sich der Angstellipse und auf dieser Seite geht es um die Angst vor Distanz, um Verlustangst.

     

    Die Angstellipse der Distanz

    Während die Komfortspirale uns Bequemlichkeit bietet, Wärme, Beziehungssicherheit und Stabilität, wird sie also in der stärkeren Innenbewegung immer mehr zu einer verschmelzenden Nähe, die uns jedes sexuellen Kicks berauben kann. Wir lieben verschmelzend und schwebend, ohne Kontakt zu unseren erdigen und feurigen Energien. Das ist zumindest die Gefahr. Der Weg aus dieser Komfortspirale bedeutet Veränderung, und die macht viele Gefühle und vor allem eben auch Angst, Angst vor Verlust der Nähe. Denn je weiter wir uns aus der (einengenden) Sicherheit bewegen, desto mehr fragen wir uns: „Verliere ich die Nähe, die geborgene Wärme, das Ja des Gegenübers? Werden wir weiter zusammenhalten? Geht mir das schöne Gefühl von Sicherheit verloren? Was macht das dann mit unserer Beziehung? Kann das Schöne dann bleiben oder zerstören wir alles? Bin ich dann allein, weil mein:e Partner:in nicht mehr mitgehen kann?“

    Und wir kennen das ja. Jede Veränderung macht auch Angst.

    Und dabei spreche ich scheinbar Unbeliebtes an. Muss es schon wieder um Negatives gehen? Sollen wir nicht einfach positiv denken und positiv drauf sein?

    Wenn wir jedoch hier von Angst sprechen, bleibt es zum einen offen, ob es um die ganz kleinen spannungsgeladenen Ängste geht, die uns auch Spaß machen können (wie eine Achterbahnfahrt), oder um das große Angstmonster. Beides könnte sein.

    Klar ist jedoch: das Beängstigende an der Angst ist das, was wir daraus machen.

    Weil wir menschlichen Wesen uns eben mit unserem präfrontalem Kortex des Großhirns viel vorstellen können (das ist eines unserer Vorteile als Menschen), können wir auch aus der Angst ein Monster machen.

    Zum anderen ist auch klar, dass Angst ein absolut lösungsorientiertes Gefühl ist – mit einigen Fallen zwar, die uns aber auch weiterbringen können.

    Angst ist ein lösungsorientiertes Gefühl!

    Kaum ein Gefühl sucht so schnell nach Lösungen, wie Angst und ebenso auch Liebe. Ob wir dieses Gefühl der Angst dann wirklich gut nutzen können, uns dieses Gefühl zum/zur Freund:in machen, darin unser inneres Kind sehen und liebkosen und umarmen können, oder in der Angst eben ein Monster entstehen lassen, das wir bekämpfen (und das dann ebenso uns bekämpft, weil es sich wehrt), das ist unsere eigene Entscheidung. Wichtig bleibt, dass wir uns der eigenen Angst selbstbestimmt stellen, also nicht auf den Partner warten, dass wir also nicht sagen: „wenn er einen Schritt tut, tu ich ihn auch.“ Nein! Es geht darum den eigenen Ängsten in die Augen zu blicken und sich damit zu konfrontieren. Die Ängste, die eben mit größerem Abstand zum/zur Partner:in auftauchen.

    Jedenfalls könnten wir einen Ausweg aus der Komfortspirale nehmen, wenn wir anfangen unsere Angst selbst zu regulieren, also nicht auf den Partner warten und nicht auf ihn hoffen, denn jeder geht seinen Weg allein – auch in einer Partnerschaft. Vor allem geht es darum, nicht auf die Bestätigung des Partners zu warten oder darauf angewiesen zu sein oder gar abhängig davon. Und genau da liegt ein Grundproblem: wir mögen es allzu gern, dass unser Partner uns bestätigt, dass wir gut sind, dass wir hübsch sind, körperlich attraktiv, und am besten „alles für“ ihn. Wir mögen die Selbstbespiegelung durch ihn/sie und sind diese auch gewohnt und dies ist schön und wunderbar. Nur: wenn wir davon abhängig werden, haben wir ein Problem.

    Die Abhängigkeit von positiver Selbstspiegelung durch den Partner ist ein Problem!

    Und das Folgeproblem des ganzen Selbstbespiegelungsproblems ist: unser:e Partner:in weiß davon, denn sie / er kennt uns gut.

    Und was bedeutet das? Sie / er kennt unsere Erwartungen und stellt sich darauf ein und steuert das Geschehen durch dieses Wissen. Aus guter Absicht gibt der/die Partner:in uns Bestätigung, jedoch mit problematischen Nebenwirkungen, die auf keinem Beipackzettel der Liebe abgedruckt sind.

    Denn manchmal versuchen die Partner das Beziehungsgeschehen mit dem Wissen um die Erwartungen des anderen zu steuern und zu kontrollieren. Sie bestätigen z.B. den anderen so, wie es der andere eben haben möchte. Das ist einerseits schön, andererseits führt dies auch in ein Muster von Schmeichelei und Abhängigkeit. Beide weichen damit den eigenen Ängsten aus und auch den Wachstumspotentialen, die Liebe und Sexualität gleichzeitig befeuern würden. Zum anderen wird auch im Krisenfall mit dieser Strategie gesteuert und der – für eine Partnerschaft hilfreiche Wert der autonomen Authentizität – stirbt. Dies ist der Supergau für sexuelles Begehren und Misstrauen wird potenziert.

    Vermeide ich die Konfrontation mit meinen Ängsten, lande ich wieder in der Komfortspirale oder im Gegenpol der Performancespirale (dazu später). Können die eigenen Ängste jedoch selbstständig reguliert werden, dann wird Intimität nicht mehr abhängig von der Bestätigung durch den anderen und kann als selbst-bestätigte Intimität gelebt werden und man begegnet dem/der Partner:in mit dieser Kontaktprägnanz. Dies macht den Weg frei zur Wachstums- und Lernellipse des sexuellen Begehrens. Die kreist um beide Pole und beinhaltet ein gutes Komfort-Performance-Verhältnis und eine gute Balance von Nähe und Distanz. Das ist es, was sexuelles Begehren wachhält – und dies trotz einer langjährigen Beziehung, oder vielleicht gerade auch deswegen.

    Wird es zu schwierig den eigenen Ängsten zu begegnen – meist weil alte Muster und alte Beliefs stärker scheinen – gerät die Person also wieder in den Sog der Komfortspirale. Fremd-bestätigte Intimität, in der wir uns abhängig machen von der Bestätigung und Wertschätzung des eigenen Partners spielt dabei eine wichtige Rolle. Oder man beginnt mit der Achterbahn der Angst in den anderen Pol zu wechseln und beginnt den Dreh in der Performancespirale.

     

    Die Performancespirale – im Kern ist dies auch eine Entfremdungsspirale

    Performancespirale nenne ich diesen Gegenpol, weil Performance assoziiert, dass es auch eine Bühne gibt. Und eine Bühne bedeutet, dass es einen Raum gibt für die unterschiedlichen Mitspieler:innen und Beobachter und Spielende. Es gibt also eine Trennung der Positionen, die in der Verschmelzung nicht gegeben ist. Eine Bühne ist für jedes sexuelle Szenario wichtig und kann aber auch in die Enge führen und zur eigenen Entfremdung.

    Auf dieser Polseite können wir also ebenso gut den eigenen Ängsten ausweichen (und hier geht es um die Angst vor Nähe), in dem wir uns z.B. in Abenteuer stürzen, in sexuelle Zerstreuungen, die uns selbst zu entfremden drohen. Oder wir bespielen beispielsweise die Bühne mit dem/r eigenen Partner:in in einer Art unauthentischen Abwesenheit, weil wir uns nur noch als „spannungsentladender Akteur“ erleben und nicht mehr als ganzheitlich liebendes Gegenüber.

    Zwar kann hier unsere Autonomie betont werden (was auch ganz wunderbar ist), wir können jedoch auch in der Beziehungslosigkeit und Entfremdung (von sich selbst und anderen) landen. In der immer enger werdenden Spirale nähern wir uns einer Art isolierenden Distanz, die uns für andere kalt erscheinen lässt und selbstentfremdet. Sexualität ist in der Gefahr abgekoppelt zu werden: von unseren eigentlichen Bedürfnissen nach Nähe. Die Bestätigung durch andere holen wir uns durch eine „gute Performance“. Dies kann mit anderen Partner:innen, genauso, wie mit dem eigenen Partner stattfinden. Unsere Ängste scheinen mit der fremd-bestätigten Intimität, die oft auch mit andere Partner:innen gelebt wird, gebannt. Wir weichen der Konfrontation mit unseren Ängsten aus.

    Wollen wir uns allerdings authentisch in unserem vollen Potenzial und mit allen Bedürfnissen spüren, bleibt wieder nur der Weg über die Konfrontation mit den eigenen Ängsten: in diesem Pol sind es die Ängste vor Nähe!

     

    Die Angstellipse der Nähe

    Hier ist es also die Nähe die Angst macht, je weiter man sich in der Performancespirale nach außen dreht. Desto mehr geht es also dann ums Einlassen, um das Zulassen von echter Nähe. Und genau das hat uns in der Vergangenheit oft weh getan. Wenn wir uns allerdings damit auseinandersetzen und darüber zur selbst-bestätigten Intimität kommen, könnten wir auch auf diesem Weg zur Ellipse des sexuellen Begehrens und der selbst-bestätigten Intimität kommen, die Liebe und Sexualität wieder neu erleben lässt. Die Angstvermeidung führt – wie auch bei der anderen Spirale – wieder in die Enge, diesmal in die Performance-Enge, in eine Entfremdungsspirale oder man wechselt auf der „Achterbahn der Angst“ zum anderen Pol.

    Angstvermeidung führt entweder in die Enge der Komfortspirale

    oder in die Enge der Performancespirale!

    Eine selbstständige Angstregulation würde auch hier, über den Weg der selbst-bestätigten Intimität, in die Wachstums- und Lerngalaxie führen.

    Nebenbei sei erwähnt, dass es bei „Angstregulation“ eigentlich um „Emotionsregulation“ geht, also um alle Emotionssorten. Angst ist hier jedoch so stark im Vordergrund und wird damit zum Guide innerhalb der systemischen Steuerung.

     

    Beispiele

    Und nun könnte ich viele Beispiele für o.g. Dynamiken aufzählen:

    • Der Mann, der gut und liebend seit 20 Jahren verheiratet ist, seine Sexualität allerdings immer mit 20 Jahren jüngeren Frauen auslebt – je nachdem, wo er gerade geschäftlich zu tun hat. So teilt er sich „scheinbar ausbalanciert“ auf beide Spiralen wohlsortiert auf und vermeidet seine Ängste.
    • Die Frau, die selten einen Orgasmus hat, diesen immer wieder vorspielt, um ihrem Mann einen Gefallen zu tun und so in der Komfortspirale bleiben zu können. So kann er ganz entspannt kommen, nachdem er seine Performance scheinbar gut für sie gebracht hat (so soll er es glauben).
    • Die Frau, die als „low-desire-partner“ oftmals „Migräne“ hat und damit ihren „high-desire-partner“ kontrolliert, steuert und Macht über ihn ausübt, indem sie ihn in die Distanz schiebt.
    • Der Mann, der sich stark nach der Erwartung seiner Frau richtet und zunehmend Erektionsprobleme bekommt – für ihn ist das meist unerklärlich.
    • Die Single-Frau, die mittlerweile schon vor dem neuen Date abwertend ist, weil sie es sich eh wunderbar bequem eingerichtet hat und die Resignation der Männer schon von Weitem riecht.
    • Der Single-Mann, der von einem Abenteuer zum anderen springt und sich für einen tollen Hecht hält – ein Performance-Hecht (und der Performancedruck steigt an).
    • usw. usf.

    Sind wir also alle irgendwie merkwürdig verschoben, unnormal oder unfähig und in ausweglosen Spiralen und Ellipsen gefangen?

    Ganz und gar nicht, denn das genaue Gegenteil ist der Fall: Die nicht-pathologisierende Sicht der Lust- und Beziehungsthematik steht für mich im Mittelpunkt des Modells.

     

    Wachstums- und Lernellipse

    Wir alle können uns in jeder Phase des Geschehens auf die „Wachstum- und Lernellipse des sexuellen Begehrens und der selbst-bestätigten Intimität“ begeben, wenn wir unsere Ängste selbst regulieren lernen. Und genau das ist es, was die Evolution von uns fordert, denn das erweitert unsere neuronalen Netzwerke und macht uns lebensfähiger.

    Alles, was innerhalb der Ellipse ist, gehört zu diesem Prozess: absichtlich und sinngesteuert. Jede Phase gehört zu den Lösungsschritten im Prozessverlauf, um auf die äußere Ellipse zu kommen. Genau deshalb konfrontiert uns die Evolution damit und sichert uns Menschen einen neuronalen Wachstumsprozess. Es macht auch Sinn, dass wir nicht immer auf der äußeren Ellipse bleiben, sondern immer wieder mit dem Innenleben der Ellipse – also all den anderen Phasen – konfrontiert werden.

    Sowohl die Komfort-, als auch die Performancespirale, so wie die Achterbahn der Angst, all diese Orte können von Singles genauso wie von Paaren erlebt werden und sind Lösungsschritte im Gesamtprozess der Reife.

    Genauso wie in den meisten Fällen eine sexuelle Funktionsstörung eher hinsichtlich der Funktion dieser Störung gesehen und behandelt werden sollte (nicht wie ein medizinisches Problem), kann auch die Funktion jedes der o.g. Stadien als prozessförderlich gesehen werden. Das Erleben irgendeiner Zone macht zeitweilig Sinn, um sie erleben zu können, sich darin zu spüren und dann den Mut zu entwickeln, sich daraus wieder zu lösen. Der gesamte Prozess macht Sinn und jede Zone hat ihre Berechtigung, denn so geschieht Weiterentwicklung – für den einzelnen und für die Paarbeziehung.

    Sexuelles Begehren ist unabhängig vom Alter und unabhängig von der Zeitdauer der Beziehung, unabhängig von der Zeitdauer des Single-Daseins und unabhängig von der eigenen persönlichen Geschichte.

    Sexuelles Begehren ist

    • abhängig von der Möglichkeit aus der Enge der beiden Spiralen auszubrechen,
    • abhängig von dem Mut sich den eigenen Ängsten zu stellen,
    • abhängig von der Überwindung der Selbstbespiegelung und Bestätigung durch den anderen!

    Klar: alle Faktoren haben einen Einfluss auf die Person und wir haben auch körperlich unsere Grenzen. Diese sind allerdings bei Weitem nicht so einengend, wie die Grenzen unserer Beliefs, die wir uns selbst zurechtlegen.

     

    Gerhard Gigler
    Akademieleiter, INTAKA
    Leiter, INTAKA-Caribbean-Center

      

     

    Unsere Upgrade-Ausbildung zum Sexualcoach und Beziehungsdynamiker

     

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    Bei Interesse melden Sie sich bitte bei INTAKA und Sie kommen auf eine Warteliste. Gerhard Gigler nimmt dann persönlich mit Ihnen Kontakt auf, wenn eine Terminplanung ins Auge gefasst werden kann. Durch die unterschiedlichen Verschiebungen bei anderen Ausbildungen warten wir noch ein wenig, um keine erneute Terminverschiebung mehr vornehmen zu müssen. Jede:r Interessent:in auf der Warteliste wird persönlich kontaktiert. Sie können aber gerne auch mit Gerhard Gigler telefonisch in Kontakt treten.

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